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AHV

Rechtliche Zuordnung zu einem SV-System, Beiträge und Leistungen zur schweizerischen Altersvorsorge – AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung )

Tausende von Grenzgängern mit Wohnsitz in Deutschland pendeln täglich zu ihrem Arbeitsplatz in der Schweiz oder arbeiten dort als sogenannte Wochenaufenthalter. Abgesehen von denen, die mindestens 25% ihrer Arbeitszeit in Deutschland leisten, zum Beispiel im Home-Office, oder solchen Arbeitnehmern, die neben dem Schweizer Arbeitsverhältnis auch noch ein weiteres haben, sind diese Personen dem Schweizer Sozialversicherungssystem zugeordnet. Viele kennen sich aber mit der AHV  (Alters- und Hinterlassenenversicherung) nicht aus.

Inhaltsverzeichnis

Wechsel vom Schweizer Sozialversicherungssystem in das deutsche und umgekehrt

Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer. Diese wird grundsätzlich in dem Land erhoben, in die Arbeit ausgeübt wird. Somit kann es zur Aufteilung des Besteuerungsrechts kommen. Arbeitslohn unterliegt daneben der Sozialversicherung. Soweit gibt es keine Aufteilung zu verschiedenen Ländern. Ein Arbeitnehmer ist sozialversicherungsrechtlich immer nur einem Land zugeordnet, jedenfalls soweit dies Arbeitsverhältnisse in der EU und in der Schweiz betrifft. Die Regeln, die darüber bestimmen; welche Systeme zugeordnet wird, finden sich in der EU Verordnung 883/2004. Sie enthält Vorschriften zum Schutz der Ansprüche der sozialen Sicherheit für Personen, die sich innerhalb der EU sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz bewegen.


Wer seinen Lebensmittelpunkt in einem dieser Länder hat, ganz oder teilweise aber in einem der anderen Länder arbeitet, für den ist diese Verordnung sehr bedeutsam. In der sich verändernden Arbeitswelt nimmt die Bedeutung des Home Office nicht nur wegen der Corona Pandemie stark zu. Wer bisher eine Arbeitszeit mindestens an 4 von 5 Arbeitstagen pro Woche in der Schweiz zubrachte und daneben kein anderes Arbeitsverhältnis hatte, der war zu 100% in der Schweiz das Jahr versichert.

Wird nur ein halber Arbeitstag pro Woche zusätzlich im Home Office in Deutschland geleistet, dann wird die in der EU Verordnung bestimmte Grenze von 25% überschritten. Sämtliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit werden dann in Deutschland sozialversicherungspflichtig. Das schafft erhebliche organisatorische Probleme für den Schweizer Arbeitgeber, der fortan eine sozialversicherungsrechtliche Betriebsstätte in Deutschland hat. Alternativ kann der Arbeitnehmer selbst eine Betriebsnummer beantragen und sich als sogenannte Selbstzahler registrieren. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeberbeiträge sind dann ins deutsche System abzuführen. Wer das nicht im Griff hat, läuft Gefahr, dass der Arbeitnehmer überhaupt nicht versichert ist — weder in der Schweiz noch in Deutschland.

Denn die rechtlich nicht geschuldete Entrichtung der Beiträge in der Schweiz führt nicht zur Versicherungspflicht, sondern allenfalls zu einem Erstattungsanspruch, der überdies noch der Verjährung unterliegt. Die Nichtanmeldung der Beiträge in Deutschland ist strafrechtlich relevant. Es handelt sich schlichtweg um Sozialversicherungsbetrug. das sollte man sich nicht antun. Für den Arbeitgeber ergibt sich das zusätzliche Risiko, das beim Eintritt eines Krankheitsfalls, eines Unfalls der Arbeitnehmer nicht versichert ist und sich deshalb beim Arbeitgeber schadlos halten muss. Sollten beim Eintritt in die Rente Beitragszeiten fehlen und deshalb die Rente geringer ausfallen, ist der Arbeitgeber ebenfalls haftbar.

Besonderheit bei Unternehmern und GmbH Geschäftsführern

In der Schweiz unterwegs selbstständig Erwerbende ebenso wie Arbeitnehmer der Sozialversicherung. Die Beitragspflicht erstreckt sich auf sämtliche Einkünfte und damit auch die in Deutschland erzielten Einkünfte als Geschäftsführer einer GmbH. In Deutschland hingegen unterliegen selbstständige Unternehmer nicht der Sozialversicherungspflicht. Wer als Geschäftsführer bei einer Kapitalgesellschaft angestellt ist, an der zu mehr als 50% beteiligt ist, wird in Deutschland wie ein Unternehmer behandelt. Die Regeln aus der EU Verordnung gelten dabei uneingeschränkt.

Wenn somit ein in Deutschland ansässiger Geschäftsführer einer Schweizer GmbH oder AG, an der er mindestens 51% der Anteile hält nur einen Tag in der Woche in seinem Home Office in Deutschland arbeitet, so er dem Schweizer System zugeordnet und ist somit mit seinen gesamten Einkünften in der Schweiz sozialversicherungspflichtig. Sofern ein weiterer halber Tag im Home Office dazukommt sind das bezogen auf die Wochenarbeitszeit 30% und damit mehr als die in der EU Verordnung genau um 25%.

Damit würde der Geschäftsführer aus dem Schweizer System herausfallen, ohne dass er In Deutschland sozialversicherungspflichtig würde. Denn Deutschland behandelt ihn als Unternehmer. Sofern die bisher in der Schweiz bezahlten Beiträge die Vorsorgeeinrichtungen weiter bezahlt werden, handelt es sich dann aus deutscher Sicht steuerpflichtigen Arbeitslohn. Damit lassen sich bei Gesellschafter-Geschäftsführern die Sachverhalte sozialversicherungsrechtlich und somit auch finanziell einigermaßen frei gestalten.     

EUGH und BFH einig: Abzugsverbot im deutschen EStG gilt nicht

In Deutschland sind die Beiträge der Arbeitnehmer Sozialversicherung steuerlich als Vorsorgeaufwendungen abziehbar, die Beiträge des Arbeitgebers Sozialversicherung sind aus deutscher Sicht steuerfrei. Der Gesetzgeber hatte dabei aber nur Arbeitsverhältnisse im Auge, die sozialversicherungsrechtlich in Deutschland zuhause sind. Dies ist bei grenzüberschreitende Tätigkeit aber nicht immer gegeben, wie sich aus dem oben dargestellten Inhalt und der EU Verordnung ergibt. 

 

Das schafft regelmäßig Probleme bei der Frage, wie die Beiträge des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers zur schweizerischen Altersvorsorge – AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) – steuerlich zu behandeln sind. Die deutsche Finanzverwaltung nimmt dazu eine sehr restriktive Haltung ein. Sie beruft sich denn dazu auf ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) aus dem Jahr 2016. Dieses entspricht aus unserer Sicht zwar den deutschen Einkommensteuergesetz (EstG), ist aber nicht mit den europäischen Grundrechten vereinbar.

 

Obwohl die Schweiz kein Mitglied der EU ist, gelten etliche Grundrechte über die sogenannten bilateralen Verträge jedoch auch im Verhältnis zur Schweiz. Das hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) bereits im Jahr 2017 und seither in steter Regelmäßigkeit in weiteren Urteilen bestätigt. Dennoch änderte sich an der Haltung der Finanzverwaltung nichts. So kam es schließlich zu einem Gerichtsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH), der mit Urteil vom 15 11. 2019 sich der Sichtweise des EUGH anschloss. Damit muss das deutsche Finanzamt auch rückwirkend in allen offenen oder noch änderbaren Fällen die Vorsorgeaufwendungen zu Schweizer Kassen wie AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) berücksichtigen. Es lohnt sich, die Steuerbescheide der letzten Jahre nochmals darauf zu prüfen, ob diese noch änderbar sind. 

 

Tenor des BFH-Urteils: Das Sonderausgabenabzugsverbot für Altersvorsorgeaufwendungen, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in der Schweiz erzielten und in Deutschland steuerlich freigestellten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit stehen, verstößt gegen die durch das Freizügigkeitsabkommen (FZA) gewährleisteten Grundsätze der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Gleichbehandlung. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitslohn aufgrund des zwischen Deutschland und der Schweiz geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) nicht in Deutschland besteuert wird.


Das BMF, das sich auf sein Schreiben auf dem Jahr 2016 beruft, war dem Verfahren beigetreten. Das Urteil wirkt damit auch gegen die oberste Finanzbehörde in Deutschland und ist damit nicht lediglich eine Einzelfallentscheidung. Trotzdem hat das BMF sein Schreiben aus dem Jahr 2016 bisher nicht aufgehoben oder geändert. Nach den Feststellungen des BFH ist das Abzugsverbot für die Sonderausgaben geeignet, Arbeitnehmer von einer Beschäftigung in der Schweiz abzuhalten. Damit verstößt die Regelung im deutschen Einkommensteuergesetz gegen das Freizügigkeitsabkommen (FZA) der EU mit der Schweiz. Die Bediengung, wonach Sonderausgaben abzugsfähig sind, wenn die zugehörigen Einkünfte in Deutschland versteuert werden, ist damit auch im Verhältnis zur Schweiz unzulässig und daher das Gesetz in diesem Punkt anders zu verstehen, als die Finanzverwaltung samt BFH dies tut.

 

Die In der Schweiz geleisteten Sonderausgaben sind in Deutschland steuerlich in gleicher Weise zu behandeln wie Beiträge zur deutschen Sozialversicherung. Es ergibt sich sogar ein Vorteil, wenn das Einkommen ist. Da es in der Schweiz anders als in Deutschland keine Beitragsbemessungsgrenze gibt und somit für das gesamte Einkommen Beiträge erhoben werden, können diese höher sein als bei einem vergleichbaren Arbeitsverhältnis in Deutschland dennoch bleiben die Arbeitgeberbeiträge zur obligatorischen Versicherung in vollem Umfang steuerfrei und sind die Arbeitnehmerbeiträge In vollem Umfang Sonderausgaben. 

 

Der BFH bestätigt in seinem Urteil vom 5.11.2019 auch die regelmäßige Pflicht des Wohnsitzstaates zur Gewährung sämtlicher steuerlicher Vergünstigungen, die an die persönliche und familiäre Situation anknüpfen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn der Steuerpflichtige sein gesamtes oder fast sein gesamtes zu versteuerndes Einkommen im ausländischen Beschäftigung Staat erzielt und er in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte bezieht. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind zwar möglich; dazu bedurfte es aber einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Staaten über wechselseitige Beziehungen zur Verhinderung von Nachteilen auf dem betreffenden Gebiet. Ein solches Abkommen besteht zwischen Deutschland und der Schweiz jedoch nicht.  

 

Schlussendlich hat der BFH der deutschen Finanzverwaltung und damit vor allem dem BMF ins Gebetbuch geschrieben, dass die Rechtsprechung des EUGH auch hinsichtlich der Verhältnisse zur Schweiz grundsätzlich zu beachten sei. Von daher wirkt der BFH deutlich über das entschiedene Verfahren hinaus.       

 

AHV – Obligatorium und Überobligatorium

Nach Schweizer Recht versicherte Personen zahlen ebenso wie der Arbeitgeber in die gesetzliche Versicherung AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung) ein. Daneben ist in der Schweiz eine Einzahlung in die Pensionskassen als zweite Säule der Altersvorsorge obligatorisch. Obligatorische Arbeitgeberbeiträge zu einer schweizerischen privatrechtlichen Pensionskasse sowie Arbeitgeberleistungen auf der Grundlage der AHF und der Schweizer Unfall- und Invalidenversicherung sind in Deutschland steuerfrei

 

Es steht dem Arbeitgeber frei, über die obligatorischen Beiträge hinaus freiwillig oder auf vertraglicher Basis weitere, sogenannte überobligatorische Zahlungen zu leisten. Dieser Teil der Arbeitgeberleistung ist nach deutschem Recht nicht mit Beiträgen in die gesetzliche Rentenversicherung vergleichbar und somit nicht generell steuerfrei, aber auch nicht generell steuerpflichtig. Innerhalb der Grenzen des § 3 Nr. 62 EStG und nach Maßgabe der dort genannten Anrechnungsklausel ist der Teil zu bestimmen, der steuerfrei bleibt. Die gesetzliche Grundlage ist schwer zu verstehen und sehr komplex.

AHV und Pensionskasse — Ausscheiden aus dem Schweizer Arbeitsverhältnis

Im Gegensatz zum Obligatorium ist das Überobligatorium kapitalisierbar. Die Auszahlung einer Kapitalabfindung aus dem Überobligatorium ist neben den auch für das Obligatorium bestehenden Möglichkeiten bei Eheschließung oder Erwerb von Grundeigentum auch bei einem endgültigen Verlassen der Schweiz möglich. 

 

Scheidet ein Arbeitnehmer aus dem Schweizer Arbeitsverhältnis aus, dann endet in aller Regel seine Zugehörigkeit zur bisherigen Pensionskasse – AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung). Das dort angesammelte Guthaben wird dann auch ein sogenanntes Freizügigkeitskonto übertragen. Die gesamte Anwaltschaft nimmt der Arbeitnehmer dann in sein nächstes Beschäftigungsverhältnis mit, aber nur sofern er in der Schweiz ein neues Arbeitsverhältnis eingeht.

 

Verlässt der Arbeitnehmer hingegen den Schweizer Arbeitsmarkt, so kann er sein Guthaben auf dem Freizügigkeitskonto mitnehmen und es zum Beispiel in Deutschland anlegen. Wenn das innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Schweizer Arbeitsverhältnisses geschieht, kann der Übertrag des Freizügigkeitskonto steuerfrei erfolgen. Es ist jedoch größte Vorsicht geboten, wenn in Deutschland ansässige Arbeitnehmer in irgendeiner Weise über das Freizügigkeitskonto verfügen, und sei es nur die Änderung der Anlageform.

 

Erfolg der Zufluss oder die Verfügung über das Guthaben zu einem Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer in Deutschland ansässig ist, so wird der Vorgang steuerlich wie eine Kapitalleistung aus einer Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht behandelt. Das Besteuerungsrecht hat immer der Ansässigkeitsstaat und nicht etwa generell die Schweiz, wo das Pensionsguthaben erwirtschaftet wurde.

 

Der Ertragsanteil der Kapitalleistung ist zu ermitteln und wird dann versteuert. Arbeitnehmer, die während ihres Beschäftigungsverhältnisses in der Schweiz ansässig und mit ihrem Einkommen in der Schweiz steuerpflichtig waren, sollten bei geplanten Verfügungen über Teile ihrer Ansprüche möglichst noch vor ihrem Umzug nach Deutschland handeln.

Jürgen Bächle
Jürgen Bächle

ist seit 1989 als selbständiger Steuerberater und Experte im internationalen Steuerrecht tätig und seit über 20 Jahren Mitglied im Vorstand des Deutschen Steuerberaterverbandes Baden-Württemberg, DSTVBW.

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