Mehrwertsteuer

Interessanter Markt

Die Schweiz ist ein attraktiver Absatzmarkt, in dem höhere Preise erzielt werden können, als in den umliegenden Staaten. Der Marktzugang ist offen für den Handel, jedoch für Dienstleister beschränkt. Lieferungen und Leistungen von Dienstleistern, Handwerk, online-Handel, Versandhandel oder Direktverkauf unterliegen dann der Schweizer Mehrwertsteuer (MwSt), wenn der tatsächliche oder fiktive Ort der Leistung in der Schweiz liegt.

Inhaltsverzeichnis

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Deutschland ist der bedeutendste Partner der Schweiz, auch wegen des großen deutschen Sprachraums in der Schweiz. 64% der schweizer Bevölkerung lebt im deutschen Sprachraum, 20% im französischen, 9 % im italienischen und 0,5% im rätoromanischen Sprachraum. Die wirtschaftsstarken Städte und Kantone liegen sind in der Deutschschweiz. Aufgrund dieser geografischen und kulturellen Nähe, insbesondere aber auch wegen des politischen und wirtschaftlichen Gewichts der EU, sind deren Mitgliedstaaten die mit Abstand wichtigsten Partner der Schweiz. Bei allem guten Willen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist der Protektionismus allerdings auf allen Seiten stark präsent. Man schützt die jeweils heimische Wirtschaft vor der Konkurrenz aus dem Nachbarland.

Kein Schutz vor Doppelbesteuerung bei der Umsatzsteuer – Mehrwertsteuer

Wer in einem Land wohnt und Einkünfte aus einem anderen Land bezieht, hat gleich zwei Fiskalbehörden, die Anspruch auf die Besteuerung dieser Einkünfte erheben könnten. Die Gefahr der Doppelbesteuerung wird durch entsprechende Abkommen reduziert oder sogar beseitigt. Für die Umsatzsteuern / MWSt / VAT gibt es solche Abkommen weltweit nicht. selbst innerhalb der EU kann es zur Doppelbesteuerung von Umsätzen und dem Verlust von Vorsteuern kommen, ohne dass dieser Nachteil aufgrund internationaler Abkommen beseitigt würde. Das gilt auch im Verhältnis zur Schweiz. Da sich die Umsatzsteuer, wie der Name schon sagt, nach dem Umsatz berechnet und nicht etwa nach der Marge oder dem Gewinn, ist der potenzielle Schaden aus einer Fehlbeurteilung jedoch sehr hoch.

Die Umsatzsteuer knüpft in etlichen Bereichen an sehr formale Voraussetzungen an. Wer nicht die verlangten Papiere vorweisen kann, oder Rechnungen aus Unwissen falsch ausstellt, muss Steuern zahlen, obwohl diese an sich nach den materiellen Vorschriften der Gesetze gar nicht anfallen würden. Zugleich ist die Gefahr sehr hoch, durch Fehler im Umgang mit der Umsatzsteuer seine Kunden zu schädigen und sie damit zu verlieren. 

Die Mehrwertsteuer und Ort der Lieferung

Im gewerblichen Warenverkehr zwischen der Schweiz und der EU gilt das „Bestimmungslandsprinzip“, d. h. dass gewerbliche Waren grundsätzlich der Umsatzsteuer erst im Bestimmungsland unterliegen. Im Herkunftsland ist der Umsatz je nach Vereinbarungen nicht steuerbar oder aber steuerbar, bei Erfüllung der Nachweispflichten aber steuerbefreit. Auch für den Dienstleistungsverkehr zwischen Unternehmen der EU und der Schweiz gilt als Grundregel, dass Leistungen an Unternehmen für das Unternehmen dort steuerbar sind, wo der Auftraggeber seinen Sitz hat. Anders ist es, wenn die Leistung an Nicht-Unternehmer erfolgt. Dann ist die Leistung dort steuerbar, wo der Auftragnehmer seinen Sitz hat.

Der Schweizer Mehrwertsteuer unterliegen Lieferungen und Leistungen im Schweizer Inland. Das hört sich einfacher an, als es sich dann bei der Ortsbestimmung ergibt. Denn im Umsatzsteuerrecht wird der Ort der Lieferung oder Leistung nicht geografisch, sondern wie schon im genannten Beispiel anhand juristischer Diktionen und Fiktionen bestimmt.

Bei Warenlieferungen ausländischer Unternehmer an Empfänger in der Schweiz wird unabhängig vom Bestimmungsortprinzip zunächst danach unterschieden, was zwischen den Vertragspartnern vereinbart ist. In B2B Geschäft ergibt sich der umsatzsteuerliche Ort der Lieferung aus den Incoterms. Maschinen- und Anlagenbauer sowie Handwerker schulden in der Regel eine Werklieferung oder Werkleistung.

Diese gilt auch bei Vorarbeiten im Ausland (z.B. Herstellung der Komponenten) insgesamt am Ort der End-Montage erbracht. Für Versandhändler, insbesondere in dem schnell wachsenden online-Handel gelten besondere regeln. Dienstleister können mit ihren Leistungen auch dann der Schweizer Mehrwertsteuer unterliegen, wenn sie nie Schweizer Boden betreten haben. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen und ggf. durch Verwendung von passender Incoterms zu gestalten, wo der Ort der Lieferung oder Leistung liegt.

Wenn beispielsweise ein deutscher Handwerker in der Schweiz steuerpflichtige Leistung ausführt, dann ist die Leistung dort bewirkt und nicht in Deutschland. In Deutschland liegt daher nicht etwa ein steuerfreier Umsatz mit entsprechenden Nachweispflichten vor. Nein, der Umsatz ist in Deutschland gar nicht erst steuerbar und erscheint deshalb auch nicht in der deutschen Umsatzsteuererklärung. Den Vorsteuerabzug in Deutschland behält der Handwerker trotzdem.

Neben den formellen Voraussetzungen liegt das größte Problem bei der Umsatzsteuer darin, den rechtlichen Ort der Lieferung oder Leistung zu bestimmen. Allein dieser fiktive Ort bestimmt darüber, ob überhaupt irgendein Umsatzsteuerrecht und wenn ja, welches anzuwenden ist. das sei an folgendem Beispiel verdeutlicht:

Umsatzsteuerrecht Deutschland – Schweiz

Ein deutscher Generalimporteur für E‑Bikes findet einen Kunden in der Schweiz. Also größere Ladung von Fahrrädern ist bereits unterwegs auf dem Seeweg von Shanghai nach Rotterdam, wo sie entladen und dann an die Kunden in Europa verteilt werden sollen. Die beiden Vertragspartner haben unter anderem folgende Möglichkeiten:

 

  • Der Eigentumsübergang erfolgt sofort, das heißt auf hoher See außerhalb der 3 Meilen Zone. In diesem Fall ist kein Umsatzsteuergesetz der Welt zuständig. Der Verkauf der E‑Bikes ist nirgendwo umsatzsteuerpflichtig. Bei der Ankunft in Rotterdam gehören die Fahrräder dem Schweizer. Er kann diese in die EU importieren, erledigt dazu das Meldewesen und trägt die Einfuhrabgaben wie Zoll und Einfuhr-USt. Wenn er die Fahrräder in die Schweiz bringt, kann er sich bei fristgemäßem Antrag bei den Niederländischen Behörden unter Vorlage der Unternehmer-Bescheinigung die Einfuhr-USt erstatten lassen. Wenn er die Frist versäumt, ist die Einfuhr-USt verloren. Trotzdem zahlt er bei Einfuhr in die Schweiz die lokale Mehrwertsteuer von derzeit 7,7%. Hätte der Schweizer Unternehmer auch Umsätze in den Niederlanden, müsste er die Erstattung der Einfuhr-USt nicht fristgebunden beantragen, sondern könnte sie im Rahmen der regulären Umsatzsteuererklärung verrechnen oder sich auszahlen lassen. Mit den entsprechenden Frachtpapierne könnte der Schweizer Kunde die E‑Bikes auch im Transit abgabenfrei durch Europa in der Schweiz bringen und erst dort den Import erledigen.

 

  • Wenn der Eigentumsübergang im Zollfreihafen Rotterdam erfolgt, unterliegt die Lieferung dem Umsatzsteurrecht der Niederlande.

 

  • Erfolgt der Eigentumsübergang unterwegs in Frankreich oder in Deutschland, müsste der deutsche Zwischenhändler den Import in die EU übernehmen. Für den Verkauf ist das jeweils nationale Umsatzsteuerrecht relevant. Der Schweizer Kunde muss sich die Umsatzsteuer dann über das fristgebundene Antragsverfahren im entsprechenden Land zurückholen.

 

  • Nicht zuletzt könnte die Lieferung auch FREI Haus und damit in der Schweiz erfolgen. Dann muss der Lieferant sich in der Schweiz registrieren, erledigt den Import und stellt die Rechnung mit Schweizer Mehrwertsteuer aus. 

 

Die angesprochenen Länder haben zudem noch einen unterschiedlichen Umgang mit der Frage, ob ein Fiskalvertreter zu bestimmen ist oder nicht. In erster Linie sind die Incoterms bestimmend für den Ort der Lieferung. Wenn die tatsächliche Handhabung aber davon abweicht, gilt der Grundsatz „substance over form“.

Erbringung von Dienstleistungen in der Schweiz

Aufgrund der bilateralen Verträge dürfen selbständig erwerbende Dienstleister aus der EU, somit auch deutsche Handwerker an 90 Tagen / Kalenderjahr ohne Genehmigung in der Schweiz tätig werden. Dazu ist jedoch vor der Einreise eine Anmeldung bei der kantonalen Arbeitsmarktbehörde erforderlich. Die Begrenzung auf 90 Tage / Kalenderjahr gilt im Sinne einer doppelten Begrenzung separat für das Unternehmen und für jede eingesetzte Person.

Die Anmeldung muss ausschließlich online mindestens 8 Tage vor Arbeitsbeginn erfolgen. Werden deutsche Dienstleister in der Schweiz aktiv, müssen sie sich bzw. ihre entsandten Mitarbeiter anmelden, wenn sie innerhalb eines Kalenderjahres mehr als 8 Tage in der Schweiz erwerbstätig sind. Ausgenommen davon sind Tätigkeiten des Bauhaupt- und –Nebengewerbes, sowie Reinigungsgewerbe, Sicherheitsdienste u.a. Hier hat die Meldung vor Aufnahme der Tätigkeit vom 1. Tag an zu erfolgen. Die Anmeldung ist auch erforderlich für die Einfuhr Waren im Wert von mehr als 1.000 CHF. Bei Tätigkeiten in der Schweiz ist streng darauf zu achten, dass für die zeit des Einsatzes in der Schweiz die dort geltenden Arbeitsbedingungen eingehalten werden. Dazu gehört auch im Sommer die Zahlung des anteileigen Weihnachtsgeldes.

Kautionen zur Mehrwertsteuer

In einigen Branchen werden in der Schweiz- allerdings kantonal unterschiedlich – ab einem Auftragswert von 2.000 CHF Kautionen verlangt, die vor Arbeitsaufnahme zu leisten sind. Die Kautionen werden zentral verwaltet. Die Kaution kann auch durch eine Bankbürgschaft oder Kautionsversicherung eines der Schweizerischen Finanzmarktaufsicht FinMa unterstehenden Institutes erbracht werden. Die Höhe der Kaution ist im jeweiligen GAV (Generalarbeitsvertrag) festgelegt. Die Kaution dient der Sicherung von Ansprüchen aus

 

  • Kontroll- und Verfahrenskosten
  • Konventionalstrafen
  • Weiterbildungskosten
  • Vollzugskostenbeiträgen

 

Die Prüfungen werden sehr restriktiv durchgeführt. Eine Stellungnahme zur Verwertung der Kaution muss i.d.R. innerhalb von 10 Tagen erfolgen. Ggf. kann Klage erhoben werden bei Schweizer Arbeitsgericht (Art. 343 OR). Wurde die Kaution verwertet, muss vor Aufnahme / Fortführung der Tätigkeit eine erneute Kaution hinterlegt werden.

Arbeitgeber bzw. Entsendebetriebe, welche zu Gunsten der ZPK eine Kaution gestellt haben, können bei der ZPK schriftlich Antrag auf Freigabe dieser Kaution stellen, wenn der im Geltungsbereich des GAV ansässige Arbeitgeber seine Tätigkeit definitiv (rechtlich und faktisch) eingestellt hat; wenn der im Geltungsbereich des GAV tätige Entsendebetrieb längstens sechs Monate nach Beendigung des Auftrags (gemäss Art. 18a.1.3 GAV) folgende, kumulativ geltende Voraussetzungen erfüllt:

 

  1. a) Die Vollzugskostenbeiträge (Art. 17 GAV) sind ordnungsgemäß bezahlt.
  2. b) Sämtliche Kontrollverfahren sind abgeschlossen.

 

Wer sich auf eine selbständige Erwerbstätigkeit beruft, muss bei der Einreise folgende Dokumente verbindlich mit sich führen: (Art. 1a Abs. 5 EntsG)

 

  • Meldebestätigung / Kopie
  • Sozialversicherungsbescheinigung A 1 (früher E 101) sowie 
  • Kopie des Werkvertrags mit dem Auftraggeber in der Schweiz
  • alternativ dazu eine schriftliche Bestätigung des Auftraggebers

 

Die Mitnahme von Werkzeug und Material muss bei der Ein- und Ausreise dokumentiert werden. Fehlt bei der Ausreise etwas, wird es der Einfuhr-Mehrwertsteuer unterworfen.

Komplexe Zollabwicklung

Die Zollabwicklung für vorübergehende Einfuhr Werkzeug, Messeständen etc. ist komplex.  Gebrauchte Werkzeuge und von Hand tragbare Maschinen dürfen frei importiert werden, wenn eine Liste mitgeführt und vom Zoll abgestempelt wird. (Vorher mit dem Zoll klären). Verbrauchsmaterial wie Nägel, Schrauben, Schweißmittel etc. sind gesondert anzumelden und zu versteuern. Im Übrigen fordert die Schweiz die Hinterlegung von 8% des Werts der mitgeführten Werkzeuge und Waren in bar oder auf das ZAZ-Konto. Die Hinterlegung wird bei Rückkehr erstattet, falls der Zoll zu dem Zeitpunkt noch geöffnet hat. Ansonsten verfällt der Betrag ersatzlos.

Damit ist der Zugang ausländischer Dienstleister zum Schweizer Markt von zahlreichen Hürden umgeben und letztlich stark eingeschränkt. Wer nachhaltig eine Marktposition aufbauen will, kommt an der Gründung eines Unternehmens mit Sitz in der Schweiz kaum vorbei.

Bezugsteuer

Führt ein in der Schweiz nicht registriertes, ausländisches Unternehmen Material in die Schweiz ein, um damit Arbeiten auszuführen, erhebt die Zollbehörde eine Einfuhrsteuer und zwar auf dem Gesamtwert der Leistung. Wird für diese Arbeiten entweder kein Material benötigt oder das Material vom inländischen Leistungsempfänger bereitgestellt, schuldet dieser unter gewissen Umständen die sogenannte Bezugsteuer. Der Bezugsteuer unterliegen auch die Einfuhr von Datenträgern ohne Marktwert mit den darin enthaltenen Dienstleistungen und Rechten.

Auch für den Bezug gewisser Dienstleistungen von ausländischen Unternehmen kann die Bezugsteuer geschuldet sein. Dies gilt aber nur für Leistungen, deren Empfänger ein in der Schweiz registrierter Unternehmer ist. Dasselbe gilt, wenn ein Leistungsempfänger, der nicht als steuerpflichtige Person registriert ist, wenn er innerhalb eines Kalenderjahres für insgesamt mehr als 10’000 CHF solche Leistungen bezieht. Beispiel, bei denen die Bezugssteuer, die letztlich ein reverse charge Verfahren darstellt, sind:

 

  • Dienstleistungen auf dem Gebiet der Werbung
  • Leistungen von Beratern, Vermögensverwaltern, Treuhändern, Anwälten usw.
  • Managementdienstleistungen
  • Leistungen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung
  • Personalverleih
  • Abtretung und Einräumung von immateriellen Rechten
Jürgen Bächle
Jürgen Bächle

ist seit 1989 als selbständiger Steuerberater und Experte im internationalen Steuerrecht tätig und seit über 20 Jahren Mitglied im Vorstand des Deutschen Steuerberaterverbandes Baden-Württemberg, DSTVBW.

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